Rezension von Ulrich Faure

Der Katalog vom Roten Antiqiuariat und der Galerie C. Bartsch, Berlin 2014

Der Katalog vom Roten Antiquariat und der Galerie C. Bartsch, Berlin 2014

Antiquariatskataloge im Kunstbuchformat, als Hardcover (und auch noch fadengeheftet) sind selten. Das kriegt nicht jeder. Aber: John Heartfield ist auch nicht jeder. Kein Geringerer als Kurt Tucholsky bezeichnete ihn als ein „kleines Weltwunder“ und behauptete, wenn er nicht Peter Panter wäre, würde er gern ein Buchumschlag beim Malik-Verlag sein. Was nur insofern ergänzungsbedürftig ist, weil Heartfield nicht ausschließlich Malik-Gestalter war, sondern großartige Arbeiten auch für andere Verlage gemacht hat.

Das Berliner Rote Antiquariat präsentierte zur diesjährigen Antiquariatsmesse auf der Frankfurter Buchmesse nun eine absolute Rarität: nämlich eine in weiten Teilen komplette Heartfield-Sammlung. Die Heartfield-Ausstellung im Zugangsbereich der Antiquariatsmesse war DER Hingucker der Messe (eine der bislang letzten Heartfield-Ausstellungen war 2012 in London in der Tate Gallery). Wer schlau war, holte sich am Stand des Roten Antiquariats gleich den Katalog ab. Der in Wahrheit natürlich ein Kunstband ist, den man nicht nur mal schnell durchblättert, um zu gucken, was denn z.B. die Malik-Umschläge heute kosten. Weshalb die Preisliste separat hinten ins Buch gelegt ist.
Keine Ahnung, ob die A. Jahneke-Sammlung (mit einem Wert von weit über 100.000 Euro) inzwischen verkauft ist. Dem Roten Antiquariat lag (liegt) mehr daran, diese einzigartige Exposition komplett abzugeben, als einzelne Sammler Filetstücke herausschneiden zu lassen. Zu wünschen ist, daß dieses Vorhaben gelingt, denn noch einmal dürfte es eine solche Kollektion auf dieser Welt nicht geben: Jahneke hat nach eigenen Angaben 40 Jahre gebraucht, sie zusammenzubekommen – hat also 30 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs mit dem Sammeln angefangen. Da lagen die Heartfields zwar auch nicht auf der Straße herum, waren aber immerhin doch leichter zu bekommen als heute. Man sagt sicher nichts Falsches, die vom Roten Antiquariat angebotene Kollektion als eine der letzten ihrer Art, die sich in Privathand befindet, zu bezeichnen. Wenn es nicht überhaupt die größte Heartfield-Sammlung ist, die jemals privat zusammengetragen wurde.
Um so löblicher, daß das Antiquariat nach all der vorliegenden umfangreichen Heartfield-Literatur (stellvertretend seien nur genannt Eckhard Siepmanns „Montage: John Heartfield“ – Elefanten Press 1977 und 1988 – der große Heartfield-Ausstellungskatalog von Peter Pachnicke und Klaus Honnef bei DuMont, datierend auf 1991, oder, noch weiter zurück, Wieland Herzfeldes Darstellung von Leben und Werk seines Bruder im Jahr 1962) – um so löblicher also, daß John Heartfield dem Roten Antiquariat nun eine eigene gedruckte Werkschau wert war. Einen Großteil der Abbildungen kennt man natürlich, aber oft mangelte es bei früheren Ausgaben an der Bildqualität, was bei einem Künstler wie Heartfield besonders fatal ist. Wer jetzt in diesem Katalog einen Blick auf Altbekanntes wirft, wird also reichlich belohnt.
Konzipiert ist der Katalog von Friedrich Haufe, die Texte stammen von Lux Rettej, Antonia Richter hat fotografiert, und die Gestaltung lag in den Händen von Markéta Cramer von Laue. Das Buch ist chronologisch geordnet: die 20er und frühen 30er Jahre – Exil und Nachexil sowie Heartfields berühmte Arbeiten für die „AIZ“ oder „VI“ haben eigene Kapitel. Register, wie man sie heutzutage in Sachbüchern gern schon mal einspart, sind selbstverständlich. Die Anordnung der Bilder erfordert hin und wieder einiges Blättern, aber wenn man mit Bildern thematische Zusammenhänge aufzeigen will, geht das nicht anders.
Absolute Novität dürfte gleich die Nummer 1 des Kataloges sein: der Reisepaß von Heartfields Urgroßvater aus dem Jahr 1814. Ein paar Seiten weiter die nächste Neuentdeckung: Johannes R. Bechers 1926 bei Agis erschienene Erzählung „Der Bankier reitet über das Schlachtfeld“ – dieser montierte Buchumschlag taucht bislang in keiner Heartfield-Bibliographie auf. Und ist doch gleich doppelt bemerkenswert, da Heartfield als „Montagematerial“ eine Zeichnung von George Grosz verwendet. Hier (und an verschiedenen anderen Stellen des Buches) gibt es Korrekturen zu den gängigen Heartfield-Bibliographien: Daß Ehrenburgs Roman „Die Traumfabrik“ bei Malik 1931 eine Banderole gehabt hat, ist nun editionsgeschichtlich gesichertes Wissen. Auch ist die Urheberschaft Heartfields am Umschlag von „Freedom Calling“ (von Jürgen Kuczynski 1939 in London) jetzt geklärt. Im Hintergrund (und von hinten fotografiert) ist Heartfield selbst im Bild zu sehen.
Was die Texte des Buches aber besonders auszeichnet, ist, daß sie Heartfields Arbeiten in den Kontext der Zeitgeschichte stellen und versuchen, auf wechselseitige Beeinflussung anderer Künstler hinzuweisen. El Lissitzky schätzte bekanntlich Heartfields Arbeiten hoch; viele Buchumschläge des deutschen Photomonteurs beweisen, daß diese Wertschätzung auf Gegenseitigkeit beruhte – oft genug finden sich in Heartfield-Bildern offensichtliche Lissitzky-Zitate. Weniger bekannt dürfte sein, daß sich Kurt Schwitters nachhaltig um Heartfield bemüht hat, es ging dabei 1927 um den Ring Neuer Werbegestalter – da hätte Schwitters Heartfield gern als Mitglied gesehen. Denn auch er hatte natürlich bemerkt, daß Heartfield schon mit der sog. Neuen Typographie arbeitete, ehe die noch eigentlich richtig „erfunden“ war. Und schon muß auch die Rede sein von Jan Tschichold. Auch von Theo van Doesburg. Oder: Wie war die wechselseitige Beeinflussung zwischen Heartfield und Umbo (eigtl. Otto Maximilian Umbehr) – immerhin einer der bedeutendsten Fotokünstler seiner Zeit – nur leider ist dessen Archiv bei einem Bombenangriff vernichtet worden… Umbos Kisch-Montage immerhin ist bis heute bekannt – aber hatte Heartfield – wie einige seiner Montagen nahelegen – mit ihm zu tun? Und wer hat Werbung für Walther Ruttmanns bis heute immer wieder aufgeführten Film „Berlin. Die Sinfonie der Großstadt“ gemacht?
In allen Einzelheiten wird sich das jetzt nicht mehr aufklären lassen. Aber wie auch immer: Es ist das wahrscheinlich größte Faszinosum an dieser Zeit und ihren Künstlern, wie sie sich wechselseitig beeinflußt und weiterentwickelt haben, ob sie nun persönlich miteinander zu tun hatten oder sich „nur“ über die Werke kannten. In vielen Texten wird der Leser explizit darauf hingewiesen – ein großes Verdienst dieses Kataloges.
Ein nach wie vor ziemlich ungeschriebenes Kapitel ist „Heartfield und die DDR“. Auch ein undankbares, denn viel Erfreuliches gäbe es da nicht aufzuschreiben. Warum man vor diesem überzeugten Kommunisten (der Thälmann zwar ein bißchen dämlich fand) soviel Angst hatte, daß man seine künstlerische Arbeit behinderte, wo man nur konnte (um ihn nach seinem Tod um so lauter als großen Sohn der Arbeitklasse zu feiern), man kann es sich eigentlich nicht vorstellen. Oder: Man kann es sich nun – im Jahre 2014 – nur zu gut vorstellen… Da verwundert es nicht mehr so recht, was unter Katalognummer 210 zu lesen ist. Heartfield hat sich schon früh Stefan Heym anvertraut: „Johnny spricht ohne Hemmungen von seinen Schwierigkeiten: er habe, da der Partei gegenüber absolute Offenheit Pflicht ist, dem Genossen Joos berichtet, daß er zwar nicht den Agenten und Verräter Noël Field kannte, wohl aber dessen Bruder, den Zahnarzt, der ihm einst zwei Zähne plombierte.“ Natürlich war Field keinesfalls ein Verräter, aber wenn kommunistische Killer ein Geständnis brauchen, wußten sie schon immer, wie sie es kriegen – so auch von Field (der Haft und Folter überlebte und 1970 in Ungarn als überzeugter Kommunist starb). Übrigens flog auch Heartfields Bruder, der Malik-Verleger Wieland Herzfelde, damals in den 50er Jahren aus der ostdeutschen „kommunistischen“ Partei SED: Seinem in Kanada lebenden Sohn traute er sich nicht, dieses Faktum von DDR-Boden aus zu vermelden, sondern schrieb ihm 1956 von einer PEN-Veranstaltung in London, was ihm passiert war. Dies als Erklärung, warum im Nachkriegsdeutschland, wo Heartfield eigentlich in „seinem“ Staat lebte, so wenig Aufsehenerregendes entstand. Letztlich waren die beiden nur beim falschen Zahnarzt in Behandlung gewesen…
Da fühlt man schon fast Fremdscham, wenn man sieht, womit man u.a. den weltberühmten Photomonteur beschäftigt hat: Er durfte die „Isotopen-Fibel für den Arzt“ gestalten (1957) – wirklich kein Scherz (Kat.-Nr. 212).
Der Katalog erzählt obendrein Geschichten, und oft sind es schreckliche Geschichten: Eines der Malik-Erfolgsbücher vor dem Krieg war Alex Weddings (d.i. Grete Weiskopf, Schwägerin Herzfeldes) Jugendroman „Ede und Unku“. Unku war ein Sinti-Mädchen, das Heartfield auf dem Schutzumschlag abbildete. Mit Hilfe dieses Umschlags konnte nach der Nazi-Zeit der Verbleib der Sinti-Familie festgestellt werden – sie waren in Auschwitz ermordet worden. Ein weiteres Opfer dieser Zeit – ermordet von Stalins Genossen – ist auf einem der berühmtesten Heartfield-Umschläge zu sehen: Maria Osten (eigtl. Greßhöner), die 1928 im Malik-Verlag arbeitete und publizierte, „modelte“ für Ehrenburgs „Liebe der Jeanne Ney“ – Grund für ihre Erschießung war nicht allein, daß ihr Partner Michail Kolzow auf einmal zum Staatsfeind erklärt worden war, sondern auch ihre Kontakte zum Heartfield-Kreis. Man kann sich vorstellen, was John Heartfield geblüht hätte, hätte er in Stalins kommunistischen Arbeiter- und Bauern-Staat Zuflucht vor den Nazis gesucht …
Alles in allem: Nicht nur ein Buch zum Blättern, Gucken und Festlesen, sondern ein mit wissenschaftlicher Akribie geschaffenes Werk, das sich seinen Platz im Heartfield-Regal rechtschaffen verdient hat. Wenn man es nicht grade braucht, um gewisse Bibliographie-News nachzuschlagen…
U. Faure

(c) Aus dem Antiquariat

John Heartfield
Buchgestaltung und Fotomontage
Rotes Antiquariat und Galerie C. Bartsch
Knesebeckstr. 13/14
10623 Berlin-Charlottenburg

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