Irene Henselmann traf John und Gertrud Heartfield

Irene und Herrmann Henselmann haben stets ein sehr gastfreundliches Haus geführt, zu ihrem Freundeskreis gehörten zahlreiche Personen der Zeitgeschichte wie Erich Kästner, Paul Dessau und seine Frau Ruth Berghaus, Ernst Busch, Peter Weisenborn, Gret Palucca, die Brüder Heartfield und Herzfelde, Ernst und Karola Bloch, Robert Havemann, Heiner Müller. Irene Henselmann verfasste mehrere Bücher, darunter zwei Kinderbücher sowie vier autobiografische Bücher zu ihrer Familiengeschichte.

Ausschnitt aus ihrem Buch „EINSAM WAR ICH NIE“ , 2000, Das Neue Berlin Verlagsgesellschaft mbH:

«Sehr geliebt haben wir den Jonny Heartfield, den weltberühmten Meister der Fotomontage. Er und George Grosz hatten durch die Auswahl, das Arrangement von Fotos und Schrift, eine neue Form für die Gestaltung von Plakaten und Buchumschlägen gefunden. Heartfield machte als Zeuge und Interpret des politischen Geschehens mit seinen Blättern Zusammenhänge und Fakten durchschaubar. Seine Arbeiten wirken weit über seine Zeit hinaus. Sie sind von andauernder Aktualität, wie es große Kunst immer ist. Er kehrte 1950 aus dem englischen Exil nach Berlin zurück. Mit seinem Bruder Wieland Herzfelde, dem Schriftsteller und Verleger, verband ihn eine fast unnatürlich Liebe. Wieland war zwar fünf Jahre jünger als Jonny, nahm aber eine Beschützerrolle bei ihm ein. Die beiden waren praktisch Waisenkinder, der Vater starb früh und die Mutter war lebenslang in einer Nervenanstalt eingesperrt. Jonny hatte in München Malerei studiert und lebte seit 1913 in Berlin. Es gibt eine Beschreibung von Jonny durch die Feder seines Bruders. Sie ist so einfühlsam und dichterisch, niemand könnte das besser formulieren. Darum erlaube ich mir ausnahmsweise, einen Auszug daraus zu machen. Die Schilderung stammt aus einem Brief an die Schriftstellerin Else Lasker-Schüler vom 6. Dezember 1913.

„Mein Bruder ist klein … das Gegenteil von robust, der Oberkörper ist vorwärtsgebeugt … er geht mit großen Schritten, die ganze Gestalt zeigt deutlich, daß sie nicht weiß, was Ruhe ist. Er kann grotesk, traurig, übermütig, abgehärmt, freundlich, jähzornig sein und aussehen, nie aber profan, leer. Er hat vielleicht nur einen durchschnittsmäßig kritischen Verstand, aber ein kritisches Gefühl von solcher Stärke und Sicherheit, Eindeutigkeit und Empfindsamkeit, daß es sich in jeder Bewegung, jedem Blick, jeder Stellung widerspiegelt. Diese Hände sind abgehärmt, feinnervig, die Hände eines Zeichners, eines Schwarzweiß-Zeichners. Ähnliches ließe sich vom Gesicht meines Bruders sagen. Es ist nicht faltig, aber voller Linien, die kaum da sind, die man aber fühlt. Es liegt unendlich viel Schmerz, Trauer, Sehnsucht, Kampf und Liebe in diesen Zügen. Es ist gar nichts Süßes, Verträumtes, adlig Romantisches oder Elegisches in Helmuts Augen, und ihr Blick ist weder daseinsentrückt noch dunkel, melancholisch oder geistreich. Sie sind blau, keusch und ehrlich. Sie sind sehr groß und schauen immer. Ihr Blick zeigt die Seele eines Menschen von solcher Naivität, solcher Liebe und Offenheit, wie man sie in dieser Gestalt vielleicht nie vermuten würde. Der Kopf ist stolz und ernst und stürmisch. Er trägt hochgestelltes, buschiges Haar, das je nach Witterung rotgolden glänzt und lodert, manchmal müde an der Stirn baumelt. Diese Stirne ist lebendig gewordener Marmor weiss, trotzig, leuchtet sie hoch über dem Lachen der Augen. Beinahe das Gegenteil ist der Mund. Ein kleiner, gestutzter Bart bürgt scheinbar für ein energisches Auftreten seines Trägers. Beharrlichkeit, Eifer und Sorgfalt und Verbitterung zeichnen diesen immer geschlossenen Mund.“

Jonnys Frau Tutti, ich glaube, sie war Keramikerin, hatte ihn in England während der Emigration kennen gelernt und geheiratet. Sie war von frohlicher Duldsamkeit und Verständnis für das kleine, große Kind Jonny. Ohne ihre mütterliche Hilfe hätte er keinen Tag überlebt, so phantasievoll und wehrlos wie er war. Sie kauften irgendwann einen schlappohrigen, goldbraunen Jagdhund „Adam“, der ebenso lieb und unbeherrschbar wie sein Herrchen war, der ihn maßlos verwöhnte.

In einer wald- und seenreichen Gegend, nahe Brechts Grundstück in Buckow, besaßen sie ein hölzernes Sommerhaus. Sie erlaubten mir, es zu fotografieren und darüber einen Artikel zu schreiben, für die Modezeitschrift „Sybille“. Außerdem machte ich ihnen einen Entwurf für den Anbau eines WCs und eines Windfangs. Das Ganze wurde gebaut und gehört zu dem Wenigen, was von meinen Entwürfen verwirklicht wurde. Das gab Anlaß zum Lachen.

Bruder Wieland Herzfelde war aus irgendeinem Grund auf Tutti eifersüchtig, wohl weil sie ihn auf allen Gebieten bei Jonny fehlerlos ersetzte. Er behauptete auch, sie hätte Jonny aus Berechnung geheiratet. Das war sehr ungerecht und störte das Verhältnis der Brüder, aber auch zu den Freunden der beiden. Wir wußten von den Mühen, die Tutti mit ihrem Genie hatte und hielten auch nach Jonnys Tod 1968 zu ihr.»